Berufsbezeichnungen bei der österreichischen Nationalratswahl 2024

Social Meaning in Data Blog

Bei jeder österreichischen Nationalratswahl gibt es die öffentlichen Listen aller Kandidat/innen, die sich zur Wahl stellen – mit Angaben zu, unter anderem, Titel, Geburtsjahr und Beruf. Die Berufsbezeichnungen sind soziologisch aufschlussreich. Die Kandidat/innen tragen diese selbstgewählt ein. Es handelt sich also nicht um objektive Kategorien aus einem Drop-down-Menü, sondern um frei gewählte Formulierungen. Sie bringen damit möglicherweise mehr als nur eine wirtschaftliche Tätigkeit zum Ausdruck.

Auszug aus der FPÖ Bundesparteiliste 2024

Mit der Wahl der Berufsbezeichnung, so könnte man argumentieren, wird normativ ein Bild der eigenen Person vermittelt. Die Bezeichnung transportiert eine Vorstellung davon, welche Qualitäten oder Erfahrungen die Kandidat/innen für das politische Amt geeignet erscheinen lassen.

Schon Max Weber war der Meinung, dass ein Beruf nicht nur eine ökonomische Größe ist: „Im Gegensatz zur rein ökonomisch bestimmten »Klassenlage« wollen wir als »ständische Lage« bezeichnen jede typische Komponente des Lebensschicksals von Menschen, welche durch eine spezifische, positive oder negative, soziale Einschätzung der »Ehre« bedingt ist, die sich an irgendeine gemeinsame Eigenschaft vieler knüpft“. Weber weiter: „Auch ein »Berufsstand« ist »Stand«, d.h. prätendiert mit Erfolg soziale »Ehre« normalerweise erst kraft der, eventuell durch den Beruf bedingten, spezifischen »Lebensführung«.“ Sowie: „Inhaltlich findet die ständische Ehre ihren Ausdruck normalerweise vor allem in der Zumutung einer spezifisch gearteten Lebensführung an jeden, der dem Kreise angehören will“1

Weber zufolge verweist der Beruf auf eine spezifische Lebensführung und kommuniziert soziale und moralische Vorstellungswelten. In diesem Sinne stellt die Wahl der eigenen Bezeichnung für die Kandidat/innen auf den Wahllisten zumindest die Möglichkeit dar, auf soziale Rollenerwartungen zu reagieren, die mit dem Amt eines Nationalratsmitglieds verbunden sind.

Für die folgende Analyse sind die Daten der Kandidat/innen der Bundesparteilisten, Landesparteilisten, und Regionalparteilisten zusammengefasst. Alle diese Listen sind auf der Website des Bundesministerium für Inneres verfügbar.

Zunächst: Wie viele Personen haben sich für die NRW 2024 von den fünf größten Parteien für die Wahl nominieren lassen? Von der SPÖ waren es 686, von der ÖVP 675, von der FPÖ 657, von den Grünen 582, von den NEOS 339 (in einigen Fällen erscheint dieselbe Person mehrmals, in unterschiedlichen Wahlkreisen – Duplikate wurden entfernt).

Was sind nun die am häufigsten genannten Berufe nach Partei? Eine Wordcloud gibt Aufschluss über die übergeordneten Muster und Größenverhältnisse:

Auffällig sind auf den ersten Blick zwei Aspekte: Die Kategorie „Angestellte/r“ ist bei allen Parteien stark vertreten, insbesondere bei der SPÖ und der FPÖ. Bei ÖVP und NEOS ist „Unternehmer/in“ eine wichtige Kategorie; bei der ÖVP ist „Landwirt/in“ besonders relevant. Bei den Freiheitlichen spielen Selbständigkeit und Berufe in der Exekutive eine herausstechende Rolle. Zweitens sind die Bezeichnungen der FPÖ im Unterschied zur SPÖ und den Grünen überwiegend in der männlichen Form gehalten. Die dargestellten Häufigkeiten sind absolut und wurden nicht gewichtet – angesichts der vergleichbaren Anzahl an Kandidat/innen der fünf hier genannten Parteien führt das zumindest zu keiner erheblichen Verzerrung. Die Grünen weisen übrigens die größte lexikalische Diversität auf, das heißt, bei ihnen finden sich die meisten unterschiedlichen Berufsbezeichnungen. Die Freiheitlichen hingegen haben die geringste lexikalische Diversität.

Wie lassen sich nun die Selbstbezeichnungen von FPÖ-Politiker/innen in diesem Kontext besser verstehen? Die Frage ist, was die freiheitlichen Selbstbezeichnungen auszeichnet und sie gegenüber denen anderer Parteien hervorstechen lässt. Die Bezeichnung „Angestellter“, wie oben ersichtlich, ist dabei nicht distinkt – sie spielt auch bei der SPÖ und den Grünen eine wichtige Rolle. Da „Angestellter“ zudem sehr allgemein gehalten ist, handelt es sich um eine wenig aussagekräftige Kategorie.

Keyness eine statistische Methode, die ermitteln kann, welche Wörter in einem Teilkorpus signifikant häufiger auftreten als in einem Vergleichskorpus. Dabei wird nicht nur die absolute Häufigkeit eines Wortes betrachtet, sondern geprüft, ob die beobachtete Häufigkeit von der erwarteten Häufigkeit abweicht. Ein hoher Keyness-Wert zeigt an, dass ein Wort in einem Teilkorpus „distinkt“ ist, weil es dort statistisch signifikant häufiger verwendet wird als im Vergleichskorpus.

Mit dieser Methode können wir nun die von freiheitlichen Kandidat/innen genannten Berufsbezeichnungen denen von allen anderen systematisch gegenüberstellen. Es ergibt sich folgendes Bild:

Freiheitliche benennen sich gern als Teil des exekutiven Staatsapparates: Beamtentum, Polizei, Militär, Justiz. Diese „Schutzaspekte“ der Staatlichkeit spielen in der freiheitlichen Weltanschauung und der selbstimaginierten Lebensführung eine besonders große Rolle. Auch die Kategorie selbständig ist bei freiheitlichen Kandidat/innen sehr beliebt. Ein vielleicht interessantes Detail ist die Kategorie „Historiker“ hier, diese wurde offensichtlich von den anderen Parteien gar nicht genannt. Die Grafik gibt uns auch Aufschluss darüber, welche Kategorien die geringste Wahrscheinlichkeit haben, in den freiheitlichen Selbstbeschreibungen vorzukommen – unten links (in grau, als „reference“ bezeichnet). Student, Studentin, und Angestellte (die weibliche Form) sind hier zu finden. Insgesamt sind hier gleich mehrere weibliche Berufsbezeichnungen vertreten, was den gender-spezifischen Aspekt in der freiheitlichen Selbstdarstellung deutlich unterstreicht. Auch ein „Projektmanager“ scheint eine Berufsbezeichnung zu sein, die Freiheitliche in ihrem Berufsfeld eher nicht repräsentiert sehen möchten.

All das legt nahe, dass FPÖ-Kandidat/innen Berufsbezeichnungen wählen, die männlich konnotiert sind, sicherheitspolitische Aspekte oder Selbständigkeit betonen und mit einem „volksnahen“ Image korrespondieren.

Der Vergleich mit den Daten der NRW 2017 und 2019 zeigt Kontinuitäten auf – markante Unterschiede sind nicht erkennbar.

  1. Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie. Besorgt von Johannes Winckelmann. Studienausgabe, Tübingen 1980, S. 531-541 ↩︎

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